Ein architektonisches Juwel in Eichgraben - die Friedhofskapelle

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friedhofskapelle 01Die Schaffung sakraler Räume gehört wohl zu den anspruchsvollsten Aufgaben der Architektur, weil hier ein Bereich des Menschen angesprochen wird, der sich dem Intellekt und auch der Emotion entzieht. Der Raum soll in Resonanz treten mit der eigenen Seelenkraft, mit einer zeitlichen Ordnung, die das Persönliche überschreitet und er soll den Menschen seine tiefsten Quellen fühlen lassen. Der Raum soll ihm helfen, sich auf sein Wesen zu besinnen und sich über seine materielle Eingebundenheit zu erheben.

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Sakralen Bauten im historischen Kontext

In Kirchenräumen der Romanik und Gotik spüren wir ein unerklärliches Fluidum, das uns dem Numinosen näherbringt. Das Wissen für die Erbauung dieser Kirchen wurde in der Gotik von den Bauhütten geheim gehalten und von den Templern aus Jerusalem nach Frankreich gebracht. Mit dem Verbot des Templerordens ging es bereits im 13.Jahrhundert verloren. Es handelte sich um eine genaue Kenntnis der feinenergetischen Wirkung von Architekturformen, Proportionen und Symbolen, also Gesetzmäßigkeiten einer sakralen Geometrie. Bis zur Barockzeit dominiert als Grundriß die Kreuzform in vielen Varianten, die ja semantisch sehr aufgeladen ist. In der Ostkirche von Byzanz, die stärker vom Auferstehungsgedanken als vom Kreuzestod getragen ist, finden wir andere Grundrißformen.

Was ein sakraler Raum vermitteln soll, ist bereits gesagt: er soll im Menschen Resonanzen mit dem höheren Sein auslösen. Hinzu kommt und kam auch in der Vergangenheit der Einbezug der Radiästhesie und der Geomantie, des Wissens um die feinen Wirkkräfte der Erde im Zusammenspiel mit kosmischen Kräften. Moderne Untersuchungen alter Kirchen beweisen dies.

Entwurfsbeschreibung der Friedhofskapelle Eichgraben

(DI Arch. Georg Thurn-Valsassina)

friedhofskapelle 04Bei der Planung der Friedhofskapelle in Eichgraben spielte die Symbolik des Grundrisses eine große Rolle: der Grundriss ist ein Abbild der Monstranz als Zeichen der Verwandlung von Materie in Geist. Im Zentrum, genauer über dem Zentrum, schwebt das Malteser- oder Johanniterkreuz der Turmspitze, lichtdurchflutet als Dachverglasung.

In den Fußboden sind einzelne kobaltblaue Fliesen eingelassen. Fasst man sie zu einem Bild zusammen, so stellen sie die Eckpunkte des geomantrisch abgewandelten Pentagramms dar. Es ist das Symbol für den auferstandenen Menschen. Aus der Kombination mit dem Kreuz erfolgt die Einbindung in die christliche Tradition des Westens.

Um den kreisförmigen Zentralraum scharen sich fünf Raumnischen, weil, wie schon erwähnt, die Zahl fünf numerologisch mit der Bedeutung Auferstehung gekoppelt ist. Diese Bedeutung geht auf die Pythagoräer zurück. Die Raumgrenzen des Zentralraumes, in dem die Aufbahrung erfolgt, werden durch zwölf Holzsäulen und den kuppelartigen Turmhelm nur angedeutet, sind aber klar erlebbar. Die Säulen sind paarweise gestellt, weisen damit auf das Lebensprinzip der Polarität hin und sind die Verbindung der unterschiedlichen Geometrien des Unterbaues und der Turmkonstruktion. Die Konzeption eines mehrschichtigen Raumes, horizontal wie vertikal, mit vielen Diagonalbeziehungen, steigert den Grad der Komplexität des Raumganzen und damit seine Wertigkeit und Erlebnisintensität.

friedhofskapelle 09Drei Nischen sind apsidenhaft an den Hauptraum angegliedert, zwei Nischen an der Basis nehmen Nebenräume auf. Die drei offenen Raumnischen erinnern an die Dreieinheit, die man in heutiger Deutung als Auflösung der Dualität oder der Transformation der Zwei in die Drei sehen kann. Steht man in der Längsachse der Kapelle, so fallen die gerundeten Dachuntersichten der Nischen ins Auge, die im Kontrast stehen zu den strengen konstruktiven Formen des Gebetsraumes und der Zentralkuppel über dem Aufbahrungsraum. Hier stehen sich milde Blütenblätter und kristalline Abstraktion gegenüber. Beides ist nicht nur von der Raumwirkung her beeindruckend sondern auch als tiefe Symbolsprache gedacht: Kristallines ist klar und folgt einem geometrischen Bildungsgesetz - das Ziel der Seelenentwicklung ist durchlichtetes Bewußtsein, am besten im Kristall abgebildet -, das Blattartige erinnert an die Schönheit der Naturformen - Wiederkehr, Lebenszyklus und Verzeihen sind ablesbar.

Zwischen Gebetsraum und Aufbahrungsraum wird die Firstpfette durch ein Raumfachwerk abgestützt. Dieser Übergangsbereich ist Schwelle zwischen dem weltlichen Vorraum und dem sakralen Hauptraum, ein Tor, das mit einem konstruktiven Element räumlich markiert ist.

Das äußere Erscheinungsbild der Kapelle wird von den gerundeten Formen der Raumnischen geprägt. Die Dächer haben unterschiedliche Neigung, eine Folge der Geometrie, und sind wie Blütenblätter überlappt. Das äußere Erscheinungsbild entspricht sinnhaft der inneren Raumwirkung. Der zentrale Turm, pyramidal und teilverglast, ist auch von außen das kristalline Zentrum des Bauwerkes. Raum und skulpturaleWirkung sind deckungsgleich.

Für die positive Wirkung des Baues ist die verwendete Geometrie der zueinander in Beziehung stehenden Bauelemente, das sind raumbildende Elemente und Konstruktioselemente, von entscheidender Bedeutung. Weiters zeigt sich, dass die Form, die als Zeichen lesbar ist, einen weitgehend unterschätzten Einfluß hat.

Es ist denkbar, dass sich damit ein neues Experimentierfeld für die zukünftige sakrale Architektur eröffnet. Das beinhaltet die Möglichkeit, bewußter Räume zu schaffen, die harmonisches Leben fördern und sogar dazu beitragen, den Menschen in seine Mitte zurückzuführen. Die Mittel sind wohl die vorstellbar sanftesten, aus einem Einfühlen in die Natur der Erde und der menschlichen Schöpfung abgeleitet.

Einweihung und "Goldene Kelle"

Am 1. November 1990 wurde die neu erbaute Friedhofkapelle in einer ökumenischen Feier eingeweiht. Pfarrer Gerhard Anderle und der evangelische Vikar Hans Jürgen Deml weihten das beachtenswerte Bauwerk, das der Architekt Georg Thurn-Valsassina schuf.

1992 wurde die Marktgemeinde Eichgraben für dieses architektonisch besonders eindrucksvoll gestaltete Bauwerk mit der „Goldenen Kelle“ des Landes Niederösterreich ausgezeichnet.

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