Eichi´s Adventkalender - 12. Dezember

Geschrieben von Mag. Katharina Grünwald BA MEd am .

20201203 093915Es ist nur schwer vorstellbar, dass Gott wirklich als ganz kleines Kind zu uns gekommen ist - für Erwachsene, aber auch für Kinder und Jugendliche. Um einen Buben, dem es auch so gegangen ist, dreht sich die heutige Geschichte.

Auf einen Stock gestützt, den Blick zu den Sternen erhoben, stand der alte Hirte auf dem Feld. "Er wird kommen", sagte er. "Wann wird er kommen?", fragte der Enkel. "Bald!" Die anderen Hirten lachten. "Bald", höhnten sie. "Das sagst du nun seit Jahren!" Der Alte kümmerte sich nicht um ihren Spott. Nur der Zweifel, der in den Augen des Enkels aufflackerte, betrübte ihn. Wer sollte, wenn er starb, die Weissagungen des Propheten weitertragen? - Wenn er doch bald käme! Sein Herz war voller Erwartung. "Wird er eine goldene Krone tragen?", unterbrach der Enkel seine Gedanken. "Ja!" "Und einen purpurnen Mantel?" "Ja! Ja!" Der Enkel war zufrieden. Ach, warum versprach er ihm, was er selbst nicht glaubte! Wie würde er denn kommen? Auf Wolken aus dem Himmel? Aus der Ewigkeit? Als Kind? Arm oder reich? Bestimmt ohne Krone, ohne Schwert, ohne Purpurmantel - und doch mächtiger als alle anderen Könige. Wie sollte er es dem Enkel begreiflich machen? Der Junge saß auf einem Stein und spielte auf seiner Flöte. Der Alte lauschte. Der Junge spielte von Mal zu Mal schöner, reiner. Er übte am Morgen und am Abend, Tag für Tag. Wenn es stimmte, was der Großvater sagte, so musste er bereit sein, wenn der König kam. Keiner spielte so wie er. Der König würde sein Lied nicht überhören. Der König würde ihn dafür beschenken. Mit Gold, mit Silber, mit Purpur! Er würde ihn reich machen und die anderen würden staunen, ihn beneiden.
Eines Nachts standen die Zeichen am Himmel, nach denen der Großvater Ausschau gehalten hatte. Die Sterne leuchteten heller als sonst. Über der Stadt Betlehem stand ein großer Stern. Und dann erschienen die Engel und sagten: "Fürchtet euch nicht! Euch ist heute der Heiland geboren!" Der Junge lief voraus, dem Licht entgegen. Unter dem Fell auf seiner Brust spürte er die Flöte. Er lief, so schnell er konnte. Da stand er als Erster und starrte auf das Kind. Es lag in Windeln gewickelt, in einer Krippe. Ein Mann und eine Frau betrachteten es froh. Die anderen Hirten, die ihn eingeholt hatten, fielen vor ihm auf die Knie. Der Großvater betete es an. War das nun der König, den er ihm versprochen hatte? Nein, das musste ein Irrtum sein. Nie würde er hier sein Lied spielen! Er drehte sich um, enttäuscht, von Trotz erfüllt. Er trat in die Nacht hinaus. Er sah weder den offenen Himmel noch die Engel, die über dem Stall schwebten.
Aber dann hörte er das Kind weinen. Er wollte es nicht hören. Er hielt sich die Ohren zu, lief weiter. Doch das Weinen verfolgte ihn, ging ihm zu Herzen, zog ihn zurück zur Krippe. Da stand er zum zweiten Mal. Er sah, wie Maria und Josef und auch die Hirten erschrocken das weinende Kind zu trösten versuchten. Vergeblich! Was hatte es nur? Da konnte er nicht anders. Er zog die Flöte aus dem Fell und spielte sein Lied. Das Kind wurde still. Der letzte leise Schluchzer in seiner Kehle verband sich mit einem hellen Ton. Es schaute ihn an und lächelte. Da wurde er froh und spürte, wie das Lächeln ihn reicher machte als Gold, Silber und Purpur.

Max Bolliger

Copyright

Copyright © Pfarre Eichgraben. Alle Rechte vorbehalten.